Kleopatra VII & die Entstehung individueller Bildnisse für Frauen
 
Kleopatra VII. Berlin, Antikenslg.
Livia, Typus Kopenhagen 615. Kopenhagen, NCG
 
In der Darstellung von Frauen gab es in der späten Republik einen deutlichen Wandel: Während Frauen zuvor immer jung und schön dargestellt worden waren, fanden sich nun erstmals Frauenporträts mit individuellen MerkmalenKennzeichen, das das Besondere und Eigentümliche der dargestellten Person hervorhebt..
 
Hierfür stehen die Bildnisse von Kleopatra und Livia aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. Sie gehörten zu den ersten Frauen, die sich selbstbewusst mit ihrem Porträt der Öffentlichkeit zeigten. Kleopatra war Königin von Ägypten; Caesar war zeitweilig ihr politischer Verbündeter und Vater ihres Sohnes. Livia war die Frau des Octavian, der später unter dem Namen Augustus erster römischer Kaiser wurde. Beide waren mächtige Frauen, die in der Öffentlichkeit standen.
 
Das Porträt der Kleopatra zeigt sie jugendlich schön. Bei genauer Betrachtung finden sich jedoch auch einige individuelle Züge, die nicht zum gängigen Bild einer schönen Frau passen: Sie hat eine kräftige Adlernase statt eines kurzen geraden Näschens. Ihr Gesicht ist nicht gleichmäßig oval, sondern läuft auf ein spitzes Kinn zu. Um den Kopf trägt sie eine breite Binde − das Erkennungsmerkmal einer Königin. Dazu leistet sie sich eine Modefrisur: Ihr Haar ist durch zahlreiche Scheitel in Bahnen getrennt und zu Rippen eingedreht. Die Rippen sind auf dem Hinterkopf zu einem Knoten zusammengefasst. Im Ausdruck ist das Bildnis der Kleopatra verhältnismäßig zurückhaltend: Sie trägt Bescheidenheit zur Schau und verzieht keine Miene, sondern blickt ruhig und gelassen geradeaus. Damit nimmt sie wohl Rücksicht auf die Verhaltensregeln, die von ihr als Frau in ihrer Zeit erwartet wurden.
 
Das Porträt der Livia wirkt noch zurückhaltender als das der Kleopatra: Ihr Gesicht lässt keinerlei Anspannung erkennen; sie blickt ruhig und hält den Kopf gerade. Ihr ovales Gesicht entspricht weitgehend dem IdealInbegriff der Vollkommenheit; erstrebenswertes Ziel, Wunschbild. einer schönen Frau. Die Nase mit ihrem Höcker und der individuell geformte Mund geben ihm jedoch einen eigenen Charakter. Livia trägt eine der aufwendigen Modefrisuren ihrer Zeit: Ihr Haar ist über der Stirn zu einer Schlinge geformt und zu einem Zopf geflochten, der in einem Nackenknoten abschließt. Die Haarsträhnen an den Seiten sind eingedreht und in Wellen gelegt. Auf reichen Haarschmuck aus kostbaren Materialien, der normalerweise zu solchen Frisuren gehörte, wird hier verzichtet. Wie schon bei Kleopatra versucht man, den Anschein von Bescheidenheit zu wahren.
 
Für Frauen war es auch in dieser Zeit noch wichtig, vor allem schön zu sein. Darum wäre es geradezu beleidigend gewesen, vornehme Damen wie Livia und Kleopatra als alternde Frauen darzustellen. Man fand daher andere Möglichkeiten, ihre individuellen Merkmale ins Bild zu setzen, ohne dabei ihrer Schönheit einen Abbruch zu tun. In der späten Republik erregten die individuellen Bildnisse von mächtigen Frauen großes Aufsehen, weil sie neu und ungewohnt waren. Sie brachen mit allen bisher üblichen Traditionen und wurden nicht selten als skandalös eingeschätzt. Individuelle Merkmale wurden daher bei Porträts dieser Frauen möglichst zurückhaltend ins Bild gesetzt, um Bescheidenheit zum Ausdruck zu bringen und Anfeindungen von konservativen Zeitgenossen entgegenzuwirken.
 
Stell dir vor, du lebst als mächtige Frau im 1. Jahrhundert v. Chr. und möchtest ein Porträt von dir in Auftrag geben. Überlege zuvor, welche Möglichkeiten dir für die Gestaltung des Porträts zur Verfügung stehen und was du berücksichtigen musst.
 
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